Kermits Debüt als bemühte Mogelpackung biederen Hard-Rocks mit Blues-Anleihen.
Der Kollege hat es letzte Woche in seiner nostalgiegetränkten Würdigung von Offsprings Megaseller Smash einleitend bemerkt, wörtlich zitiert: "Manche Erfolge kommen urplötzlich aus heiterem Himmel und ohne jeden Grund". Vieles scheint ja - erst mal in seinem historischen Kontext betrachtet - logischer, anderes weniger. Selbstverständlich. Dass der im Verlauf der 70er an Strahlkraft verlierende Hard Rock von Led Zep und Deep Purple auch über das Jahrzehnt hinaus Abermillionen an Tonträgern quer über die Kontinente verstreuen sollte, klingt heute zumindest für mich wesentlich plausibler als der Umstand, wonach es zu irgendeinem Zeitpunkt der Geschichte einen Bedarf an den Nu-Metal-Parolen von Limp Bizkit und Konsorten gegeben hat. Mittendrin im Rock-Zirkus befanden sich auch Steven Tylers Aerosmith. Ursprünglich noch auf den Fersen der Rolling Stones und Yardbirds fest im Blues verwurzelt. Erst mit der Loslösung vom Sound der Vorbilder kam schließlich der kommerzielle Megaerfolg. Doch sollte schon das selbstbetitelte Debüt mit dem hässlichen Artwork die Erkennungsmerkmale der Band andeuten.
Wobei "Sound der Vorbilder" ein bisschen heftig ausgedrückt ist. Es stimmt schon, die Amerikaner flirten mit dem Blues und lassen dazu Joe Perrys distinktive Gitarrenriffs losdonnern. Mit der rhythmischen Eleganz der Stones um die 70er-Wende hat das letztlich allerdings genauso wenig zu tun wie mit dem erhabenen, gleichermaßen erdigen Zusammenspiel der Yardbirds. Dazu passt auch ein legendär gewordener Auszug aus der Autobiographie des Frontmanns, der mehr über die Authentizität als Blues-Band sagt als jeder Song des Debüts: "The band was very uptight. We were so nervous that when the red recording light came on we froze. We were scared shitless. I changed my voice into the Muppet, Kermit the Frog, to sound more like a blues singer." Keine weiteren Fragen, Mr. Tyler.
Eine habe ich dann doch noch, aber die geht in Richtung Slim Shady: Wie sind Sie denn auf die brillante Idee gekommen, Kermit den Frosch für Sing For The Moment zu engagieren? Denn tatsächlich - als wüssten wir es noch nicht aus dem entsprechenden Review - verbirgt sich hinter dessen Refrain Aerosmiths Dream On, der erste, doppelt veröffentlichte Hit der Band. Dass dieser sich als Sample für Eminems cineastische Rap-Attacke ganz gut eignet, haben der Kollege und ich ja einvernehmlich bestätigt, für sich allein gibt die Nummer aber nicht viel her. Ich möchte zwar nicht leugnen, dass sich hinter diesem balladesken Mix aus Pop und Rock zumindest eine sehr brauchbare Idee in Form der hübschen Gitarrenmelodie verbirgt, langweilig ist er dank des pathetischen Gesangs über die volle Spielzeit indes trotzdem. Das bringt uns auch zu einem Hauptproblem der Band. Grundsätzlich ist Tylers eigenwilliger Gesangsstil, auch Post-Kermit, nämlich mehr als schwierig. Hier am Debüt muss auch schon jeder zweite Satz in ein schrilles Gequäke münden. Wie etwa auf Write Me A Letter, das als rumpelndes Rock 'n' Roll-Gedenknümmerchen mit dezenten Saxophon-Beiträgen eine heiße Spur verfolgt, letztlich aber so belanglos wie die Hälfte der Tracks hier ausfällt. Besonders das einleitende Duo Make It und Somebody gibt sich dahingehend keine Blöße, plumpen Hard-Rock, über den selbst Gene Simmons von KISS vermutlich herzhaft schmunzeln musste, zu zelebrieren.
"Make it!
Don’t fake it
I said make it!
Don’t fake it
Then you do"
singt Tyler am Opener. So bieder, wie es die virtuosen Zeilen des Ansporns erahnen lassen. Somebody ist auch nicht viel besser. Zusammengehalten werden die beiden, wie auch einige andere der acht LP-Tracks, von Perrys oft gefälligem, aber wirkungsvollem Gitarrenspiel. Zwar entfaltet sich die Dynamik der Riffs in dem dumpfen Soundgemisch, das dem Album anhaftet, nicht besonders gut, doch wird schnell ersichtlich, welches Instrument den in die Gleichgültigkeit abdriftenden Songs stets zur Hilfe eilt.
Die besten Momente hat Aerosmith zweifelsohne dann, wenn die Kollegen Bereitschaft zeigen, sein Tempo mitzugehen. Der beste Beweis dafür, dass die Band anno 1972/73 doch eine funktionierende Einheit bilden konnte, ist ausgerechnet der mit über sieben Minuten längste Track One Way Street. Auf diesem lässigen Blues-Shuffle ergänzen sich Gitarren und Keyboards erstmals wirklich gut und selbst Tylers regelmäßig einsetzendes Quäken kann die verkörperte Spielfreude nicht entscheidend entschärfen. Dazu noch der erfrischend raubeinige Rock 'n' Roll von Mama Kin, auf dem auch die Rhythmusabteilung um Tom Hamilton (Bass) und Joey Kramer (Drums) endlich ein Lebenszeichen abgibt und ein knackiges Cover von Rufus Thomas coolem R&B-Klassiker Walkin' The Dog und die Sache sieht schon wieder wesentlich runder aus.
Nicht rund genug, um über das dürftige Soundbild, die vielen ideenlosen Minuten oder die Absenz eines eigenständigen Erkennungsmerkmals abseits vom Gesang des Froschkönigs und der souveränen Performanz seines weit tauglicheren Kollegen an der Gitarre hinwegzutäuschen. Gerade über letzteres kann man im biederen Hard-Rock sehr einfach hinwegsehen, doch hätte es am Debüt, für das man in der Regel bekanntlich lange genug schuften kann, der eine oder andere Ansatz mehr schon sein dürfen. Schlecht ist das dank Perry und ein paar gehaltvollen Ausflügen in Richtung Blues zwar nicht, der bald einprasselnde Megaerfolg setzte aber zu Recht nicht bereits hier ein.