von Kristoffer Leitgeb, 23.07.2016
Der Strom fließt wieder oder Die wundersame Geschichte vom Ein-Song-Album-Triumph.
Irgendwann ist man einfach mit seinem Latein am Ende. Sogar dann, wenn man noch nicht einmal Latein können muss, um was zusammenzubringen. Aber was in aller Welt sollte man auch über diese Band schreiben können, wenn bald das halbe Review-Dutzend voll ist?! Langsam wird das einigermaßen skurril. Meine vierte LP von ihnen - damit übrigens auch das vierte Jahrzehnt des stromdurchwirkten Schaffens abgehakt - und ich komm mir nicht zum ersten Mal vor wie Bill Murray. Da tut sich einfach nichts. Zieh einem unausstehlichen Koffer ein neues Gewand an und - welch Überraschung... - es ist immer noch ein unausstehlicher Koffer. Und die Australier wechseln einfach alle paar Jahre das Cover und es ist immer noch Hard Rock, der eigentlich nur von Angus Young lebt. Warum das nach dem rapiden Abstieg der 80er-Jahre 1990 urplötzlich wieder grandios gewesen sein soll, es bleibt mysteriös.
Und jeder, der sich die Mühe gemacht hat, meine Reviews halbwegs mitzuverfolgen, weiß, wie scheiß egal mir ein vermeintlich monotoner Sound eigentlich ist. Ein paar der besten Alben sind entstanden, weil Musiker einfach ein paar Mal das Gleiche durchgezogen und immer wieder etwas nachjustiert haben. Jetzt waren AC/DC Anfang der 90er schon eineinhalb Jahrzehnte unterwegs und haben in der Zeit eine zweistellige Anzahl an Alben veröffentlicht. Da gibt's kein Nachjustieren mehr, da schraubt man die Stellschrauben nur mehr immer wieder vor und zurück, um noch irgendwie den Eindruck einer Bewegung zu erwecken.
Das alles ist natürlich komplett powidl, wenn man Thunderstruck als Eröffnung raushaut. Ja, der zündet. Vielleicht nur, weil er ein bisschen danach klingt, als hätten Hells Bells und Led Zeppelins Immigrant Song geheiratet - wunderschöne Hochzeit übrigens, und erst das Brautkleid, ein Traum... - und ein wohlklingendes Kind bekommen, auf alle Fälle flutscht die Sache. Zu dem Zeitpunkt dürfte das einzige Ziel ohnehin gewesen sein, eine Hymne einzuspielen, die Stadien zum Beben bringt wie It's A Long Way To The Top oder Highway To Hell. Mit nichts geht das besser als mit dem formelhaften Geschredder der Youngs - insbesondere Angus' Killer-Riff -, dem wiedererstarkten Brian Johnson und der bald dreistelligen Zahl an "Thunderstrucks" im Text. Den Song darf und soll man großartig finden, spätestens seit dem Moment, als irgendwer die Idee hatte, damit dem greisen Alexander Van der Bellen ein gar untypisches Wahlkampf-Video zu basteln.
Aber BITTE, das sind fünf Minuten! Und danach ist nichts mehr mit Klassiker. Die Band kann froh sein, dass die Young-Brüder noch halbwegs die richtigen alten Nummern kopieren und vor allem dass Bruce Fairbairn die LP produktionstechnisch irgendwo zwischen der 79er- und 80er-Inkarnation der Band anlegt. Deswegen ist man noch euphorisiert, wenn einem Fire Your Guns auf Startplatz 2 begegnet und das rhythmische Feuerwerk von Beating Around The Bush auf sehr ansprechender Sparflamme wieder aufleben lässt. Und tatsächlich muss man ihnen auch den Titeltrack noch einigermaßen anrechnen. Der strapaziert auf die gesamte Länge die Geduld etwas, sorgt aber als düster brodelnder, metal-lastiger Rocker für ein Aufflackern von Atmosphäre, wo man sie eigentlich gar nicht mehr erwartet hat. So ziemlich der einzige halbwegs neu anmutende Trick, den man sich im Laufe des Albums erlaubt. Sowas gehört dann honoriert, auch weil die Abkehr vom allzu penetranten Sex-Thema erfrischend wirkt und sich die mehrmaligen Rhythmuswechsel in der zweiten Hälfte vom AC/DC-Alltag etwas wegbewegen.
Selbst dann kommt man aber noch nicht einmal auf eine glorreiche EP. Aber starkes Material ist da, das soll nicht unter den Teppich gekehrt werden. Es sind aber eben schon noch neun andere Tracks auf "The Razors Edge" zu finden. Die gestalten sich schon mal als passable Routineübung wie das etwas altbackene und behäbige Goodbye And Good Riddance To Bad Luck. Die LP als Ganzes schafft es aber, nachdem die anfänglichen Hoffnungsschimmer erst einmal Geschichte sind, so unfassbar gut in die Kategorie "unnötig" zu passen, dass es schon wieder verblüffend ist. Noch nicht einmal schlecht, nein. Einfach nur unterdurchschnittliches Allerweltsgedudel, das so nicht und nicht dazu bereit ist, sich von Angus Young retten zu lassen. Was soll auch rausschauen, wenn man einen Song allen Ernstes Mistress For Christmas tauft? Dabei versucht man da wenigstens noch bluesiger daherzukommen - und scheitert ziemlich daran -, nicht nur dem entronnenen Erfolg hinterherzuhecheln. Aber das ist so lethargisch und freudlos runtergespielt, dass es ein schwer hinzunehmender Gedanke ist, dass Vorgänger "Blow Up Your Video" wirklich um Längen schlechter sein soll. Den will man dann echt nicht hören.
Und es wird dann nicht mehr nennenswert besser. In Wahrheit ist die Band mit ihrem Parade-Krächzer nicht einmal mehr penetrant genug, um ordentlich Aufmerksamkeit zu erregen. Got You By The Balls hat dank der Tatenlosigkeit der Musikanten fast schon Schunkelcharakter, Are You Ready wirkt dank der müden, varianten- und höhepunktslosen Darbietung wie einer der euphemistischsten Songtitel aller Zeiten und bei Let's Make It wissen unter Garantie nicht einmal die Australier selbst, was tatsächlich die Idee hinter dem Track war. Vielleicht tut man dann jemandem Unrecht, wenn man den Kurzzeit-Drummer Chris Slade als Schuldigen ausfindig macht, aber dessen unfassbar monotones und jegliche Energie entbehrendes Getrommel ist zumindest sinnbildlich für einen guten Teil der zweiten Hälfte.
"The Razors Edge" darf gerne für den wiedergefundenen Punch und Killerinstinkt in Songs wie Thunderstruck oder Fire Your Guns stehen, ist in Ordnung. Aber nicht, ohne nicht gleichzeitig dafür kritisiert zu werden, dass 50 Prozent des Materials trotz ordentlichen Aufbaus vor allem nach einem riechen, nämlich nach Lethargie. Und wenn sich Männer, die das Rocker-Leben symbolisieren sollen, etwas nicht erlauben dürfen, dann genau sowas. Beinahe alles, was hier nach Track 4 kommt, verwirkt seine Daseinsberechtigung, weil vermeintlich dreckiger Rock so banal und unaggressiv eingespielt wurde, als wollte man es in die nächste Family Sitcom schaffen. Wenn die 80er mitunter den Eindruck erwecken mochten, AC/DC könnten einfach nicht mehr richtig, dann sagt das Jahr 1990, dass sie zwar können, aber doch nicht so wirklich wollen.