Kristoffer Leitgeb, 28.05.2020
Vor mittlerweile zwei Monaten habe ich mich in einem wahrlich langatmigen Video - das übrigens weiter unten verlinkt ist, sollte es jemand noch nicht gesehen haben - dazu hinreißen lassen, einen kleinen Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt zu werfen. Und zwar so ziemlich ohne Bezug zur Musik der 2010er-Jahre, sondern ausschließlich auf Basis der von mir regelmäßig in halbjährlichem Rhythmus erstellten Top-50-Albumlisten, die ich 2011 zum ersten Mal angegangen bin und seitdem nicht mehr aufgehört habe. Deswegen bieten sie einen ziemlich guten Einblick, wie sich so mein Musikgeschmack über die Jahre verändert hat, was neu dazu gekommen ist und mein musikalisches Weltbild neu definiert hat. Soweit, so gut.
Für meinen Überblick habe ich ein Gesamtranking dieses Jahrzehnts erstellt, um die prägendsten Interpreten und die Unterschiede in verschiedenen Phasen der Dekade herauszuarbeiten. Genau dazu wurde jedoch ein kleiner, ultimativ aber eklatanter Makel in einem Kommentar gefunden, den ich verursacht habe, indem ich für jeden 1. Platz in einer Liste 50 Punkte und für jeden 50. Platz nur 1 Punkt vergeben habe:
Und weil mein Rezensentenkollege da netterweise einen richtigen Einwand gemacht hat, habe ich mich daran gemacht, sein beispielhaftes Punkteschema für einen möglichst gravierenden Unterschied anzuwenden und zu schauen, was denn das für Änderungen bewirken könnte. So wird nicht einfach der jeweilige Platz in der Liste gewertet, sondern bereits der Eintrag in einer Liste wird mit 50 Punkten belohnt, unabhängig davon, ob das nun Platz 2 oder 42 ist. Das erlaubt eine Korrektur des Gesamtrankings dahingehend, dass der Stellenwert eines Interpreten, der es zu mehreren Einträgen in einer Liste bringt, noch einmal betont wird, sodass die Anzahl der platzierten Alben sogar relevanter wird als die genaue Platzierung selbst. Zwei Alben auf Platz 49 und 50 sind so mehr "wert" als ein einzelnes auf Platz 1.
Um die dadurch verursachten Verschiebungen deutlich zu machen, habe ich wieder ein paar meiner so beliebten Tabellen mitgebracht, in denen die 30 punktbesten Interpreten aus allen im jeweiligen Zeitraum erstellten Top 50 Listen gelistet sind. Und zwar einmal nach dem alten Schema - Platz 1: 50 Pkt., Platz 2: 49 Pkt., ..., Platz 50: 1 Pkt. -, einmal nach dem neuen Schema - Platz 1: 100 Pkt., Platz 2: 99 Pkt., ..., Platz 50: 51 Pkt. - und einmal nur mit den durch das neue Schema hinzugekommenen Punkten. Letzteres ist also effektiv eine Reihung rein nach der Anzahl der Albumeinträge. Daraus ergibt sich für den gesamten Zeitraum von 2011 bis 2019 folgendes Bild:
Für mich überraschend, sind die Verschiebungen nicht allzu dramatisch. Direkt ins Auge springt der gravierende Sprung von The Offspring, der sich leicht dadurch erklären lässt, dass die US-Pop-Punker in den Anfangsjahren so dominant waren, dass sie es mit zwischenzeitlich ganzen 7 Alben gleichzeitig in die Top 50 geschafft haben. Wie bereits im Video angesprochen, hat sich da die Situation stark geändert, sodass die Band seit zwei Jahren gar nicht mehr vertreten ist. Nach neuer Berechnung reicht es aber dazu, Rammstein zu überholen, die fast ausschließlich durch zwei Alben vertreten sind, und deutlich auf Platz 1 zu stehen. Die übrigen Sprünge gehen, wenig überraschend über die ebenfalls nur zwischenzeitlich mit 4 bzw. 3 Alben vertretenen Rise Against und Red Hot Chili Peppers - aktuell mit 1 bzw. 0 Alben dabei - und AC/DC, was jeglicher logischer Erklärung entbehrt... Genauso tauchen The Cure plötzlich in den Top 30 auf, was sich eindeutig durch alle diese Listen ziehen wird. Es hilft eindeutig, dass die durchgehend dabei waren und das oft genug mit zwei Alben gleichzeitig.
In die andere Richtung geht es deutlich für Weezer, was sich leicht dadurch erklären lässt, dass deren "Pinkerton" zwar ein Top-10-Abo hat, sonst aber nichts von ihnen in die Nähe dessen kommt. Ein Blick auf die neuen Punkte zeigt außerdem, dass die für Soap&Skin und Joy Division weniger günstig sind, was sich aber erst deutlicher auswirken wird, wenn der Zeitraum etwas verkürzt wird.
Das passiert auch mit den folgenden Aufstellungen, die synchron zu den Statistiken im Video statt des gesamten Zeitraums nur von 2012 bis 2019 - also ohne den ersten, mit allzu spärlichem Albumbestand entstandenen Listen -, von 2014 bis 2019 - also seit Entstehung von MusicManiac - und von 2017 bis 2019 für einen möglichsten frischen Blick auf die neueren Entwicklungen reichen:
Die Ergebnisse sind aber auch da ähnlich. Für The Offspring, Rise Against und die Red Hot Chili Peppers geht es bergauf, genauso wie The Cure durchgehend in die Top 30 rutschen. Dazu kommen allerdings die Beatles und R.E.M., deren Beständigkeit mit zwei Top-50-Alben hilft, und in zunehmend deutlichem Maß Bob Dylan, der mittlerweile als einziger Interpret regelmäßig auf drei Einträge zählen kann und daher in den vergangenen Jahren auch die meisten Punkte durch den Eintragsbonus dazubekommen hat. Auf der Gegenseite schaut es für Weezer durchgehend trist aus, genauso wie Joy Division, Soap&Skin und Rammstein aufgrund der wenigen Einträge beständig einbüßen.
Ultimativ sind die Unterschiede aber weit weniger gravierend, als ich ursprünglich angenommen hätte. Abgesehen von The Cure landet kein neuer Interpreten beständig in den Top 30, schon gar nicht weit vorne. Und trotz der höheren Volatilität sind auch in den kürzeren Zeitraum keine großen Sprünge zu sehen, eher sogar das Gegenteil einer beständigeren Liste. Mitverantwortlich dafür ist aber wohl auch etwas, das eine Nebenerkenntnis des erneuten Durchforstens war: Die Listen werden vielfältiger. Haben es in den Jahren 2011 bis 2013 insgesamt nur 38 Interpreten in die Top 50 geschafft mit einem Spitzenwert von 7 Alben für nur einen davon, nämlich The Offspring, in einer einzigen Liste, haben zwischen 2017 und 2019 gleich 50 Interpreten Platz gefunden und mehr als 3 Einträge in einer Liste waren für keinen davon drinnen.
Ich hoffe, damit dem guten Vorschlag meines Rezensentenkollegen einigermaßen würdig Rechnung getragen zu haben, auch wenn die spektakulären Ergebnisse nicht rausgeschaut haben. Sollte ich dennoch noch etwas anbieten können, um etwas Licht in den Zahlendschungel zu bringen, oder jemand einfach scharf auf ein paar neue Diagramme sein, gerne her mit den Anregungen und Ideen in den Kommentaren!
So, und jetzt gibt's endlich das anfangs angekündigte Video, das eigentlich Stein des Anstoßes für diesen ganzen Text war: